Sommerlust, oh Sommerfrust

Ein Sommer, in dem alles zusammen kommt

Wie ich mir die Sommerferien vorgestellt habe…

In der letzten Woche vor den Semesterferien:

  • Student: Und was machen Sie in den Sommerferien?
  • Eva: Ich will in China reisen.
  • Student: Sind Sie sicher?
  • Eva: Ja natürlich. Ich möchte das Land kennenlernen! Shanghai und Peking.
  • Student: Aber es wird sehr heiß.
  • Eva: Ach, kein Problem. Ich habe in Mexiko gelebt.
  • Student: Aber es wird wirklich sehr heiß.
  • Eva: Aaach…

Bald darauf schon durfte ich erkennen, dass er recht behalten sollte.

… und wie die Sommerferien wirklich sind

So wie der obige Dialog verlief in den vergangenen Wochen nicht nur ein Gespräch. Heiß soll es werden, wurde mir gesagt. Jaja. Juli und August sind besonders schlimm. Klar. Alle warnten mich vor dem Sommer, vor Ausflügen, vor der Hitze. Ich tat das Ganze mit einem Schulterzucken ab. Wie schlimm konnte es schon werden?, dachte ich. Die übertreiben doch.

Heute, Anfang August, kurz vor Abreise nach Shanghai, verstehe ich die großen Augen meiner Studenten, als sie von meinem Sightseeing-Vorhaben hörten. Das Lachen meiner Kollegen, als ich davon erzählte, in den Ferien Wandern zu gehen. Ich verstehe jetzt, warum viele so um meine Reisepläne besorgt waren.
Ich kann sogar mehr als nur verstehen. Ich kann mit jedem Hautpartikel spüren, was sie meinten. Die Hitze, der Schweiß, die drückende Luft. Sommer in China: Ich habe dich unterschätzt.

Heute sind mal wieder über 35°C – so wie fast jeden Tag in den letzten zwei Wochen. Als in Deutschland der Hitzerekord verzeichnet wurde, leuchteten auch auf chinesischen Thermometern Temperaturen bis zu 46°C. 
Es ist heiß. Und nicht nur das. Es ist vor allem eins: feucht, dunstig und schwül. 

Die Lust auf meine Reisen in die beiden Großstädte Shanghai und Peking nimmt zunehmend ab. Und bald fasse ich den Entschluss: Zuhause mit Klimaanlage lässt es sich vielleicht doch am Besten aushalten. Doch dann:

In einer dieser vergangenen schwül-heißen Nächte wälze ich mich mal wieder schlaflos hin und her. Auch gegen Mitternacht sind es noch 28°C und es weht kein Lüftchen. Ich stehe in besagter Nacht auf und beschließe, die mir heilige Klimaanlage anzuschalten. Wie froh ich bin, dass es zumindest in der Wohnung eine letzte Hoffnung auf Abkühlung gibt. Wenigstens für einen kurzen Moment. Als ich die Anlage einschalte, umhüllt mich binnen Sekunden eine genüssliche Kühle. Die Schneeflocke leuchtet auf dem Display auf und pustet mir eisigen Wind um die Ohren. Gedanklich bin ich nun in Narnia, stapfe durch die Winterlandschaft und atme die kalte Luft ein. Während ich im Gedankenschnee stehe und ihn fast zwischen den Händen spüren kann, tut es plötzlich einen lauten Knall. Es rattert. Es knattert. Dann wird es ganz still. Ich öffne die Augen. Die Schneeflocke auf dem Anzeigedisplay ist verschwunden. An ihrer Stelle tanzt nun eine schelmisch lachende Sonne.

Jetzt geht gar nichts mehr. R.I.P.

Ich beginne nur langsam zu verstehen, doch dann wird es mir immer klarer: Das war es nun vorerst mit dem Ausflug ins Kühle. Die Klimaanlage hat soeben ihren Geist aufgegeben.

Ich stehe fassungslos da. Mein ganzer Gedankenschnee – geschmolzen.

Am nächsten Morgen spreche ich mit der Hausverwaltung. Doch keine gute Nachricht. Leider sind alle im Urlaub. „Es kann ein paar Tage dauern.“, heißt es.

Ich warte mehr oder weniger geduldig. Zwei Tage, vier Tage, eine Woche. Es bleibt heiß.
Schließlich kommt ein Handwerker und diagnostiziert: die Anlage ist zu alt, um sie zu reparieren. Eine neue muss her. Allerdings ist diese sehr teuer. Und weil es eine Uni-Wohnung ist, wird das Einverständnis der Universitätsverwaltung benötigt. Aber ja: Leider sind alle im Sommerurlaub.
Ich seufze. Es beginnt, sich etwas aufzubrauen.

Es bleibt weiter heiß und feucht. Jetzt nicht nur draußen, sondern auch in meinen vier Wänden. Ich schlafe schlecht, schwitze und mache mir langsam Sorgen um möglichen Schimmel bei Möbel und Kleidung. Alles ist klamm. Während die Luft im Raum steht, kriecht Feuchtigkeit an ihr hoch bis in die letzte Ecke. 89% Luftfeuchtigkeit zeigt der Filter in meinem Schlafzimmer an. Bald wird es mir noch auf die Nase tropfen.

Geräte, die in China plötzlich wichtig werden: Luftfilter und Ventilator

Ein paar Tage später wache ich wieder auf. Dieses Mal allerdings nicht (nur) wegen der Hitze.

Brrrr. Ein Dröhnen durchfährt die Stille des Morgens. Brrrr. Was um alles in der Welt…? Brrrr.
Ein Presslufthammer. Draußen ist es noch dunkel. Ich erinnere mich wage an eine Nachricht von vor zwei Wochen: „… Bauarbeiten in den Ferien…“  Mir schwant Arges.

Bauarbeiten um diese Uhrzeit? Es ist 6.30 Uhr. Ist das ein schlechter Traum? 
Nein, die Hitze und der Presslufthammer sind so real, wie der zweite Presslufthammer, der nun in den Chor eintritt. Beide Maschinen werden gnadenlos weiterdröhnen, bis zum nächsten Abend. Den ganzen Tag und die halbe Nacht hindurch. 12 Stunden und noch einmal 12 Stunden – nonstop. Ich sitze aufrecht mit weiten Augen schwitzend im Bett. Und verfluche alles und jeden. 

Fleißige Bauarbeiter

Das ist doch sch***!!! So ein Mist! Nicht mal in Ruhe schlafen kann ich…
Ich vergrabe meinen Kopf frustriert unter dem Kissen. Brrrr. Hilft natürlich nichts. Genervt stehe ich auf. Zuerst die Klimaanlage und jetzt auch noch Baulärm. Am liebsten würde ich alles hinwerfen!!!

Auswanderer und Expats (und viele andere) kennen diesen Moment bestimmt auch. Wenn scheinbar alles in der neuen Wahlheimat aus den Fugen gerät. Wenn der schöne erste Eindruck auf einmal bröckelt. Wenn eine Stimme im Kopf immer lauter wird und dir sagt: Was mache ich hier eigentlich? Warum bin ich nur hierher gekommen? In ein Land, das so heiß und schwül ist und nicht einmal Gesetze zur Lärmbelästigung kennt? 

Ich habe diesen Moment schon einmal erlebt. Letztes Jahr in Mexiko. Als ich nach sechs Monaten vor lauter Überstunden und nach dem zweiten Autounfall weinend in meiner Wohnung saß und die Hände über dem Kopf zusammenschlug. Was um Gottes Willen mache ich hier nur?, habe ich mich auch damals gefragt. 

Als sich diese Situation und die Frage jetzt in meinem Kopf wiederholen, verändert sich etwas. Und plötzlich erscheint mir eine neue, viel wichtigere Frage: Was mache ich mit dieser Situation?
Weit weg von allem, was mir vertraut und bekannt ist. Fern von Familie und Freunden, die mir in diesen Momenten Trost spenden könnten. Fern von der Heimatkultur, in der ich die Regeln und Gewohnheiten kenne.

Was mache ich, wenn ich am liebsten alles in die Ecke werfen und meine sieben Sachen packen würde? Wenn mir der Schweiß, die Tränen oder wie jetzt beides gleichzeitig das Gesicht herunterlaufen und ich nicht weiter weiß? Und dabei der Presslufthammer rücksichtslos weiterbohrt, als gäbe es kein Morgen.

Ich schließe die Augen und atme tief durch. 

Ich bin wirklich sauer. Nicht auf die Bauarbeiter, die unten ihre harte Arbeit erledigen. Ich kann mir nur schwer vorstellen, wie es ihnen mit der Arbeit in dieser Hitze geht. Mein Ärger richtet sich auch nicht gegen die Klimaanlagenfirma. Die Anlage hat viele Jahre lang funktioniert und ihren Zweck erfüllt. Ich kann nicht mal sauer auf das Verwaltungsbüro sein, denn auch die haben sich ihren Urlaub bestimmt verdient. Trotzdem bin ich sauer. Ich bin sauer, warum das alles gerade mir passieren muss. Und warum ich jetzt hier bei Baulärm sitzen und schwitzen muss. Wie unfair!

Da muss ich auch schon selbst schmunzeln. Ja, warum sitze und schwitze ich hier eigentlich immer noch?

Ich stehe auf und packe meine sieben Sachen. Und fahre … anstatt zum nächsten Flughafen, zum nächsten Café. Raus aus der Hitze und hinein. Erstmal einen kühlen Kopf bewahren. Als ich in den 10 Grad kühleren Raum eintrete höre ich: Stille. Meine Schultern entspannen sich augenblicklich, ich bestelle Kaffee mit Eiswürfeln und setzte mich auf einen der großen Sessel. Ich atme noch einmal tief durch. Schon besser. Schon sieht die Welt nicht mehr ganz so grau aus. Dann greife ich zu meinem Notizblock und beginne zu schreiben.

Gerade als ich den letzten Satz des Blogeintrags fertig geschrieben habe, piept mein Handy. Eine Nachricht vom Nachbarn: Alte Bierzeltphilosophie: Jetzt kann es nur noch aufwärts gehen.

Ich muss laut lachen.

Vielleicht sind Freunde und Familie doch näher, als gedacht.

2 Gedanken zu “Sommerlust, oh Sommerfrust

  1. Ich wohne gerade in Huelva, wo es im Sommer gerne zwischen 30 und 40 Grad sind – und die Wohnung ist direkt unterm einem Flachdach. Ohne Ventilator, den ich mir gerade kaufte, geht gar nichts. Aber zum Glück ist die Hitze trocken. Ich kann daher nur ansatzweise erahnen, wie belastend es zusätzlich für dich ist mit der extrem hohen Luftfeuchtigkeit.

    Was mir an deinem Blogeintrag u.a. gefällt bzw. worüber ich länger nachdachte, ist deine Frage: „Was mache ich mit dieser Situation?“ Und zwar weil meine Mitbewohnerin, die sehr stark schwitzt und stark unter der Hitze leidet, vor sich hin leidet, ohne etwas tun oder ändern zu wollen.

    Ich gehe z.B. nachmittags (wo es am heißesten in der Wohnung ist) gerne raus, weil es u.a. am Fluss, welcher ganz in der Nähe im Meer mündet, immer eine herrliche Brise gibt. Aber meine Mitbewohnerin zieht es vor, in ihrem Schwitzen und Meckern zu bleiben.

    Ich werde deine Frage meiner Mitbewohnerin stellen – vielleicht hilft es ihr zu erkennen, dass sie eine Wahl hat.

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